Ankommen in der OberlausitzAngekommenMitten im Oberlausitzer Dorf ankommen - ein Bericht von Arielle KohlschmidtEin guter Nachbar in der Nähe ist besser als ein Bruder in der Ferne. Nach 12 Jahren Berlin, der Prignitz und Dresden mit 14 Umzügen – warum bleibe ich schon seit 4 Jahren in der Oberlausitz und baue gar an einem Haus? Als ich zum ersten Mal das Haus in Klein Priebus an der Neiße besichtigte, das ich später kaufen sollte, hatte eine alte Frau hinterm Zaun gleich an meiner Nase erkannt, was ich noch nicht wusste: "Ach, da bekommen wir wohl neue Nachbarn." – rief sie frohlockend herüber. Entgegen meinem Wunsch lag mein künftiges Haus nicht vollkommen allein und mit einer menschenfreien Sicherheitszone drum herum, sondern mitten im Dorf. "Na toll" dachte ich, "fängt ja gut an." Doch erinnerte ich mich auch leise an ein früheres Landleben auf einem 8-Hütten-Dorf in der Prignitz. Dort hatte mir eine in der Nachbarschaft wohnende Rentnerin manches Mal allein durch ein kurzes Gespräch das Gefühl wiedergegeben, doch Teil einer menschlichen Gesellschaft zu sein und holte mich damit regelmäßig auf den Boden zurück. Kauft man ein Haus, kauft man sich auch gleich eine ganze Nachbarschaft mit ein und damit die Katze im Sack. Wer weiß denn schon vorher, ob die Nachbarn rechts nicht Krümelkacker und die Nachbarn links Streithähne sind? Oder die gegenüber so laut husten, dass der Kaffeetisch wackelt? All diese wichtigen Erkenntnisse kann man erst im täglichen Zusammenleben sammeln. Natürlich könnte man mit einem Zelt eine Woche auf dem Grundstück zur Probe wohnen. Macht man aber nicht, denn was sollen dann die neuen Nachbarn denken? Jeder Fernseher wird genauer inspiziert und getestet vor dem Kauf als ein Haus, das weiß jeder Makler. Das Leben auf dem Land wird einem durch die Nachbarn gern mal vermiest – so hatte ich es hier und da schon gehört. Ein Freund kommt mit seinem Nachbarn - der 200 m entfernt wohnt – auch nach 20 Jahren noch nicht aus, weil er zum Einstand eine gehörige Party gegeben hatte und seitdem für immer der schreckliche, neue Hippie geblieben ist. Andere Bekannte wussten vorher nicht, dass sie auf dem missgünstig beneideten Millionärshügel wohnen würden. Ganz besonders rund um die Hauptstadt verschanzen sich die Idyllenbewohner und bilden feindselige Grüppchen gegen die vielen Stadtflüchtlinge, die das Dorfleben verändern. In der Oberlausitz hatte ich einfach Glück. Vielleicht macht hier aber auch etwas anderes die Freundlichkeit aus: Die Erfahrung des äußersten Ostens ist eine des Verlassen werdens. Die Jungen gehen weg. Leer stehende Wohnungen und Häuser machen ein mulmiges Gefühl. Als wir neu ins Dorf kamen, wurden wir also ohne genaueres Hinsehen freudig begrüßt: Toll! Junge Leute ziehen ein! So dauerte es auch gar nicht lange und der erste nachbarliche Kuchen stand inmitten des Baugeschehens. Es blieb nicht der Einzige. Nachdem meine Nachbarin beim Filmteam-Catering Blut geleckt hatte, hätte ich nie wieder in meinem Leben kochen müssen. Ein paar Monate später hatten einige Dorfbewohner auch meine Potentiale erkannt und kamen sich Kamera und Stativ borgen. Außerdem sollte das örtliche Treckertreffen für die Nachwelt festgehalten werden und ich sollte es schneiden. Wer noch nie einen Film geschnitten hat, der hat auch keine Hemmungen sechs Stunden Material zu produzieren: Die Ansprache des Bürgermeisters und die des Nachbarbürgermeisters und des Feuerwehrchefs wurden natürlich in ihrer ganzen Gänze gefilmt – schon der Würde des Ereignisses wegen. Und dann die Traktoren und die Traktorenausfahrten und die verschiedenen Wettbewerbe. Da man meist erst bei der sekundengenauen Wiederholung seines eigenen Lebens erlebt, wie langweilig 95% davon sind (jedenfalls für den Betrachter), schnitt ich kurzerhand einen lustigen 10-Minüter, der alle großen Momente komprimiert und wieder aufgießbar in sich hatte. Wenig später wurde uns eine Trecker-Ladung Spaltholz vorbeigebracht. So nimmt das Teilen seitdem seinen Lauf. Ich verstehe das als meinen Anteil an der Gemeinschaft. Dem Feuerwehrchef, der mir für eine DVD unbedingt noch etwas geben wollte, erklärte ich das einmal so: Ihr seid bei der Feuerwehr. Und wir dienen mit allen Facetten unserer Kommunikationsfirma Blendwerck. Mal schreiben wir einen Pressetext und stecken ihn in unseren Verteiler, mal beraten wir bei einer Website und eine Lesung unseres neuen Buches im Dorfgasthof ist geplant. Jeder nach seinen Fähigkeiten. Und überhaupt: Geben ist doch eine Freude an sich. Irgendwann wird es einfach nebensächlich, dass das Gegebene in irgendeiner verwandelten Form wieder zurückkommt. Der eine sitzt ungern vorm Fernseher, wenn draußen wunderbare Tätigkeiten rufen. Was soll er machen, wenn die erst hinter dem eigenen Gartenzaun beginnen? Der andere kocht und backt so gern, dass er nie alles allein aufessen könnte. Und noch ein anderer fühlt erst dann einen Sinn, wenn er Freude in einem anderen erwecken kann. Wer ist man denn, wenn man nur noch für sich selbst da ist? Vor einiger Zeit kam ich abends nach Hause. Nicht nur das Jesuskindlein, sondern auch 40 cm Neuschnee waren gerade vom Himmel gekommen. Nur auf meinem Hof sah es ganz anders aus. Weihnachtsüberraschung! Der Schnee war mit einem Trecker zu einem riesigen Berg aufgeschoben. Drinnen war auf 31 Grad geheizt. Meine 76jährige Nachbarin hatte gar Kohlen für den nächsten Morgen aus der Scheune geholt, damit ich früh nicht raus müsste. Ein Hoch auf die lieben Oberlausitzer Nachbarn! PS zum Thema Häuserkauf: Die Oberlausitz bietet hier eine echte Nische. Viel Platz für wenig Geld. Im Nachbardorf leben zum Beispiel befreundete Künstler, die aus Dresden herzogen. Sie erstanden ihr riesiges Anwesen für ganze 3.900 Euro. Im selben Dorf gab es auch eins für 500,- Euro bei ebay. Arielle Kohlschmidt, Klein Priebus, 26.09.2013 Arielle Kohlschmidt (28.09.2013) |
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