Ankommen in der OberlausitzSebastian trifftDanielle HöflerZu Besuch bei einer engagierten Journalistin und Künstlerin, die zwischen der Görlitzer Vergangenheit und Gegenwart einen LEBENDigen Bogen spanntvon Sebastian Locke (17.02.2014) Der Zeigefinger kreiste über den Druckknöpfen an der unscheinbaren Tür in einer Görlitzer Altstadtgasse. Ich klingelte bei Höfler und wurde ohne Gegensprech-Absicherung hineingelassen. Ich wurde bereits erwartet. Weiter ging es durch ein ebenso unscheinbares Treppenhaus ein paar Meter nach oben, wo mich ein gar nicht unscheinbarer Hund namens Pepe lautstark und sein kleines Revier verteidigend begrüßte. Er teilt es sich mit seinem Frauchen Danielle, die mich herzlich empfing und im Vorfeld schon neugierig machte. Ich war gespannt, wie eine Deutschfranzösin tickt, die Veterinärmedizin und Philosophie studierte, mit Begeisterung ‚urban farming‘ betreibt, vier Sprachen spricht, zudem eine journalistische Ausbildung und eine Ateliersausbildung in Malerei genoss und, als Mitglied im Deutschen Werkbund, selbständig tätig ist.
Mit ihrer angenehm geerdeten Art überraschte sie mich. Mit ihrer Wohnung nicht so sehr: Bücher, wohin man schaute, Bilder an den Wänden, kleine künstlerische Sammelsurien, was insgesamt jenen gedanklich aktiven Spirit transportierte, den man kreativen, tiefergründigen Menschen ohnehin zuschreibt und der einem selbst so vertraut ist. Wunderbar! Während ich auf der Couch Platz nahm und mich etwas umschaute, fiel mir ein Postkartenmotiv des in Kirschau ansässigen Künstlers Sandro Porcu ins Auge. Er ist mit Fabian Plank befreundet, der auch ein guter Freund von Danielle und zudem Partner bei der Arbeit an einem neuen Kulturmagazin ist. Als ich mich als Sandros Vereinskollege outete und wir uns darüber freuten, wie klein die Welt doch sei, war das ohnehin recht dünne Eis gebrochen, das nun zu einem munter plätschernden Redefluss zusammenschmolz. „Es ist wichtig, auch für die Stadt, dass du dranbleibst!“ Sie zeigte mir fotografische Arbeiten, die sie für die Görlitzer Zukunftsvisionen anfertigte, sprach über die Etablierung des Künstlerhauses, die Bemühungen der freien Künstlergruppe und betonte die Wichtigkeit der Vernetzung als Stärkung des Selbstbewusstseins von Künstlern, die in einer Region lebten, in der es nicht einfach sei, als Künstler zu (über-)leben. Dass ihr Aufruf zum Engagement gleichzeitig auch wie eine Liebeserklärung an die Stadt und Region klang, imponierte mir. Und als hätte dem noch Nachdruck verliehen werden müssen, sprang mir ihre verschmuste Katze auf den Schoß, um sich eine Streicheleinheit zu holen und mir ins Ohr zu schnurren: Hey Fremder! Siehst du, ich habe gar keine Scheu. Leg deine Vorurteile, Ressentiments und Ängste ab, öffne dich deinem Umfeld und du wirst merken, dass dadurch alle Seiten einen Gewinn davontragen. Wenn Danielle von Gewinnen sprach, meinte sie sicher nicht die finanziellen. Freunde oder Menschen für eine Sache oder Erkenntnisse zu gewinnen, trifft es wohl eher. Mit leuchtenden Augen zeigte sie mir Bilder des seit 10 Jahren verschollenen DDR-Malers Ralf Schwedesky, der auch in der Staatlichen Dresdener Kunstsammlung vertreten ist. Sie bekam sie von einer Freundin, die eine Schülerin von ihm war und diese Werke retten konnten, als man nach einer Pleite alles von ihm beschlagnahmte, auch sein Atelier und seine Werke. Letzten August gab man seinen Bildern im Künstlerhaus in der Görlitzer Landskronstraße 32 Raum, als, wie sie sagte, „Probelauf“ für das Ausstellungsprojekt LEBEND! Als ich nachfragte, was LEBEND! genau bedeute, wurden aus leuchtenden Augen glänzende. Ob ‚Die Lebenden‘ mir ein Begriff seien, fragte sie. Ich wusste nur vage etwas über eine Görlitzer Künstlergruppe in den 1920er Jahren. Danielle jauchzte und freute sich darüber, mal auf jemanden gestoßen zu sein, dem das ein Begriff ist. Ein bisschen peinlich berührt, weil sich mein Wissen auf die eine Aussage beschränkte, hakte ich einfach weiter nach. „Alles begann im Bone-Haus“, sprach sie mit offensichtlichem Genuss, erzählerisch mal etwas ausholen zu können. In diesem denkmalgeschützten Haus am Görlitzer Obermarkt, in dem der Künstler Steeven Fabian Bonig (‚Bone‘) lebt und wirkt (70 Zimmer, die er als eine einzige große Installation restauriert und gleichzeitig komponiert) und für Veranstaltungen der Öffentlichkeit zugänglich macht, sei sie über einen Artikel zu dem Görlitzer Herausgeber Ludwig Kunz und seinen literarischen Flugblättern gestolpert, die für viele ausgegrenzte Autoren in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg eine Plattform war. (literarisch hochkarätige Beiträge von z.B. Thomas Mann, Robert Musil, Alfred Döblin, Hermann Hesse u.a.) Sie recherchierte und fand heraus, dass diese Flugblätter Bestandteil des deutschen Expressionismus im Museum of Modern Art in New York sind. Die anfängliche Verblüffung darüber, dass Kunz aus dem heutigen Bewusstsein der Stadt scheinbar völlig verschwunden war, wandelte sich schnell zu einem großen Ansporn, tiefer zu graben und diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten. Danielle, begeisterte Anhängerin des Expressionismus, zückte einen Nachdruck der Flugblätter und erzählte weiter. Von den Verunglimpfungen und der Diskriminierung, der Kunz als Jude ausgesetzt war, seiner Standhaftigkeit bis es nicht mehr ging, der Flucht in die Niederlande, wo er mit seinem Auto in der Kracht landete, mit gefälschtem Ausweis aufgegriffen und in ein KZ gebracht wurde, aus dem er, dem Tod schon in die Augen blickend, während eines Luftangriffes fliehen konnte… „Und was macht der Typ, nachdem der Krieg vorbei ist?“ fragte sie rhetorisch und mit Anerkennung in der Stimme und erzählte weiter. Wie er in den Niederlanden wieder literarische Flugblätter verlegt hat, dieses Mal in 4 Sprachen und als Vermittler zwischen niederländischer und deutscher Lyrik. Und dass er Lyrik von Schwarzen veröffentlichte, zu einer Zeit, in der sie in Amerika noch keine Bürgerrechte hatten und dass er von der Niederländischen Regierung für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde und und und… „Da, wo ich den Text gefunden habe, da gehört es auch hin.“ Ich war frappiert, erstaunt über die Geschichte, aber auch über den Enthusiasmus, mit dem Danielle dieses Thema behandelte. Die Genugtuung, die im Lebenslauf eines Ludwig Kunz mitschwang, schien auch ein Stück weit aus ihr zu sprechen, aus eigenen Erfahrungen und dem selbst erlebten Kraftaufwand, als Künstler mit Idealen gegenüber Borniertheit und schlechten wirtschaftlichen Bedingungen zu bestehen. Tatsächlich spannte sich hier aus ihrer Sicht der Bogen zwischen den ‚Lebenden‘ damals und LEBEND! heute. Die vielen Parallelen in der Frage, was es hieß und heißt, Künstler und speziell Künstler in Görlitz zu sein, wurde zur Schlüsselerkenntnis und zu einer gehaltvollen Idee. Sie trug sie an Ulf Großmann heran, Vorsitzender der Kulturstiftung Sachsen. Er war begeistert, konnte ihr sogar den Tipp geben, dass sich der künstlerische Nachlass von Kunz in der Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaften befindet. Er verwies sie an einen Herrn Dr. Wessig, der ihr weiterhelfen konnte, und so nahmen die Dinge ihren Lauf… Eine Lesung in Bones Künstlerhaus, eine Ausstellung von Arbeiten aus der damaligen Zeit und von heutigen Künstlern, die in einem Filmprojekt zusammengefasst werden, die Herausgabe des Magazins ‚Kondensator‘ (in Zusammenarbeit mit Fabian Plank), das sich als Nachfolger der Flugblätter versteht und somit auch als kultureller Vermittler zwischen Künstlern, Genres und Nationen. Aus allem, was Danielle erwähnte, formte sich mir immer wieder das Wort ‚Energie‘. In ihr brannte etwas, und was ich wahrnahm, waren nur ein paar Flammen, die herausschlugen. Ich hörte ihr gern zu und dachte mir so im Stillen: Mögen ihre Ambitionen genauso Blüten tragen wie die verwahrlosten Grundstücke, die durch sie und Freunde spontan entrümpelt und mit Blumen bepflanzt werden und Passanten erfreuen. Auf die Frage, was sie in Görlitz halten würde, musste Danielle nicht lange überlegen. Die Stadt und die Menschen seien es, die Nähe zu zwei anderen Nationen, die Möglichkeiten, von denen es hier weit mehr gäbe, als man denkt. Die Schätze lägen auf der Straßen, natürlich keine, die nach Münze klingen, sondern andere, wichtigere. Es wäre ihr eine Freude, etwas für die Stadt tun zu können. Und dann stand plötzlich Kai Reinschmidt vor der Tür, um sie abzuholen. Mir kam er irgendwie bekannt vor. Er war schon mal in meinem Kirschauer Atelier. (Die Welt ist wirklich klein) Ich sprang kurzerhand mit in den Wagen, und wir fuhren durch eine Stadt, die so viel bietet, wenn man nur genau hinschaut… freier Fotograf und Autor
|
| | Direkt-Links: |